
- Amtliche Leitsätze des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 20.12.2018 – I ZR 112/17 – Crailsheimer Stadtblatt II
- Zusammenfassung des Urteilsinhalts in Stichworten
- „Die Amtsblätter im Visier“ – Anmerkungen zu den Beurteilungskriterien des BGH von Prof. Dr. Christian O. Steger
1. Amtliche Leitsätze
Die Amtsblätter in der neueren Rechtsprechung
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Dezember 2018 – I ZR 112/17, „Crailsheimer Stadtblatt II“
Leitsätze des Urteils
a) Bei dem aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abzuleitenden Gebot der Staatsferne der Presse handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG (Fortführung von BGH, Urteil vom 15. Dezember 2011-1 ZR 129/10, GRUR 2012, 728 Rn. 9 und 11 – Einkauf-Aktuell).
b) Umfang und Grenzen des Gebots der Staatsferne der Presse bestimmen sich bei gemeindlichen Publikationen unter Berücksichtigung der aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden gemeindlichen Kompetenzen einerseits und der Garantie des In stituts der freien Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG andererseits.
c) Für die konkrete Beurteilung kommunaler Publikationen mit Blick auf das Gebot der Staatsferne der Presse sind Art und Inhalt der veröffentlichten Beiträge auf ihre Neutralität sowie Zugehörigkeit zum Aufgabenbereich der Gemeinde zu. untersuchen und ist unter Einbeziehung des äußeren Erscheinungsbilds eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen.
d) Je stärker eine kommunale Publikation den Bereich der ohne weiteres zu lässigen Berichterstattung überschreitet und bei den angesprochenen Verkehrskreisen – auch optisch – als funktionales Äquivalent zu einer privaten Zeitung wirkt, desto eher ist die Garantie des Instituts der freien Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gefährdet und die daraus abgeleitete Marktverhaltensregelung des Gebots der Staatsferne der Presse verletzt.
2. Zusammenfassung des Urteilsinhalts
Wesentlicher Inhalt des Urteils in Stichworten
Im Folgenden werden die wesentlichen Gesichtspunkte, die der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.12.2018 zu Grunde liegen, und die Prüfkriterien, die der BGH angewendet hat, in stichwortartiger Zusammenfassung dargestellt1 (die Randnummern beziehen sich auf den Standort der Aussagen im Urteil des Gerichts).
1. Der BGH nimmt als einen Ausgangspunkt seiner Beurteilung, dass staatliche Teilhabe an öffentlicher Kommunikation Kompetenzwahrnehmung im „zugewiesenen“ Aufgabenbereich der jeweiligen staatlichen Einheit bedeute. „Die Kompetenz zur Staatsleitung schließt als integralen Bestandteil die Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit ein. Staatliche Öffentlichkeitsarbeit ist nicht nur zulässig, sondern notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten. Darunter fällt namentlich die Darlegung und Erläuterung der Politik hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftige Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über den Bürger unmittelbar betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit“ (Rn. 24).
Die kritische Haltung des Bundesgerichtshofs und der vorausgegangenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart1 bezieht sich kurz zusammengefasst sowohl auf Inhalte als auch auf in der Entscheidung deutlich und kritisch betonte äußere Darstellungsformen bei Amtsblättern als ein Medium kommunaler Öffentlichkeitsarbeit.
Im Einzelnen prüft der BGH in seinem Urteil auf der Basis der vorausgegangenen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Stuttgart und des Landgerichts Ellwangen folgende für die Praxis bedeutsamen Gesichtspunkte:
2. Inhalt (Rn. 37):
a) Immer zulässig sind amtliche Verlautbarungen Verkündungen von Rechtsvorschriften, verfahrensrechtlich vorgeschriebene Verlautbarungen, z.B. bei Bebauungsplänen, und sonstige Mitteilungen der Gemeinde im Rahmen ihrer hoheitlichen Aufgabenerfüllung als öffentliche Verwaltung. Hoheitliches Handeln ist von der Beurteilung nach UWG ausgenommen (Rn. 55).
b) Art und Inhalt der veröffentlichten Beiträge (Rn. 35):
Beschränkung auch auf Sachinformationen;
Gebot der Sachlichkeit eingehalten2?
„Wertende und meinungsbildende Elemente“ zu sind zu vermeiden;
Neutralität eingehalten?
Zugehörigkeit zum Aufgabenbereich der Gemeinde;
wertende Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung des äußeren Erscheinungsbildes.
c) Auf jeden Fall zulässiges Informationshandeln:
Gemeindliche Information mit dem Ziel, Politik verständlich zu machen, die Bevölkerung über Politik und Recht im gemeindlichen „Aufgabenkreis zu informieren und staatliche Tätigkeit transparent zu gestalten ist auch in „presseähnlicher Form“ zulässig“ (!);
* Warnungen der Bevölkerung bei besonderen Gefahrenlagen und aktuellen Krisen (Rn. 39);
* auch Berichte über kommunale Wirtschaftsförderung können Teil der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit eine Gemeinde sein.
* „Gleichfalls ohne weiteres zulässig – und sogar geboten, wenn die Information nur über die Gemeinde gewonnen werden kann – ist die Unterrichtung der kommunalen Öffentlichkeit über aktuelle Tätigkeit und künftige Vorhaben der Kommunalverwaltung und des Gemeinderats“;
* „Nicht jedes Ereignis (wird) durch Anwesenheit eines Mitglieds der Gemeindeverwaltung zum Gegenstand zulässiger kommunaler Öffentlichkeitsarbeit“ (Rn. 37);
3. Unzulässig sind nach Ansicht des BGH Inhalte, für die die Gemeinde keine eigene Kompetenz hat. Das betrifft in erster Linie sog. redaktionelle Beiträge im „Erweiterungsteil“ eines Amtsblatts.
> Bereich unzulässigen Informationshandelns (Rn. 38)
Ausgangspunkt: „Eine vom Staat unabhängige Meinungsbildung der Öffentlichkeit“ wird gefährdet;
> allgemeine Beiträge über ortsansässige Unternehmen;
> Bewertung privater Initiativen;
> allgemeine Beratung der Leserinnen und Leser;
> Berichte über rein gesellschaftliche Ereignisse aus den Bereichen Sport, Kunst und Musik in der Regel kein zulässiger Gegenstand gemeindlicher Öffentlichkeitsarbeit.
4. Wertende Betrachtung der gemeindlichen Publikationen insgesamt (Rn. 40),
-bei der sich lt. Urteil „ jede schematische Betrachtungsweise verbietet. Im Rahmen einer Einzelfallprüfung ist entscheidend, ob der Gesamtcharakter des Presseerzeugnisses geeignet ist, die Institutsgarantie des Art. 5 Absatz 1 S. 2 GG zu gefährden“.
– „Einzelne, die Grenzen zulässiger staatlicher Öffentlichkeitsarbeit überschreitende Artikel allein begründen … keine Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse“;
Aber: „Ein Verstoß gegen die Marktverhaltensregelung des Gebots der Staatsferne der Presse liegt bereits dann vor, wenn einzelne Artikel den Bereich der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit eindeutig verlassen und die Publikation insgesamt bei einer Gesamtwürdigung einen pressesubstituierenden Gesamtcharakter aufweist“ (Rn. 45).
* „Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Pressefreiheit bestehen z.B., wenn die Gemeinde als Teil des Staates auf den lokalen Kommunikationsprozess bestimmend Einfluss nimmt“;
* Je stärker die kommunale Publikation den Bereich der ohne weiteres zulässigen Berichterstattung überschreitet und bei der Bevölkerung als funktionales Äquivalent einer privaten Zeitung wirkt, desto eher ist die grundgesetzliche Garantie verletzt;
* „Keinesfalls darf die kommunale Publikation den Lesern eine Fülle von Informationen bieten, die den Erwerb einer Zeitung – jedenfalls
subjektiv – entbehrlich macht. Je deutlicher – in Quantität und Qualität – ein erweitertes Amtsblatt Themen besetzt, deretwegen Zeitungen gekauft werden, desto wahrscheinlicher ist der Leserverlust bei der privaten Presse“, damit Aushöhlung des Instituts der freien Presse (Rn. 40, 43).
5. Kritische Punkte bei der Gesamtbetrachtung der Form (Rn. 41):
Optische Gestaltung der Publikation (ähnlich Rn. 47);
Layout der Beiträge mit pressemäßigen Merkmalen (Überschrift, Unter- Überschrift, fett gedruckte Einleitung, Foto) – Rn. 48
„redaktionelle Elemente der meinungsbildenden Presse, wie Glossen, Kommentare oder Interviews“; Verwendung „pressemäßiger“ Darstellungselemente;
Frequenz des Vertriebs (regelmäßige Erscheinungsweise) führt aber nicht automatisch zu einer Unzulässigkeit wegen Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse.
„Die Grenze wird aber überschritten, wenn das Druckwerk nicht mehr als staatliche Publikation erkennbar ist“.
6. Anzeigen (Rn. 41):
Die „ Anzeigenschaltung ist ebenfalls in die Gesamtwürdigung einzubeziehen. Sie ist nicht generell unzulässig, sondern kann zulässiger, fiskalisch motivierter Randnutzen sein“ (so schon BGH , Urt. v. 22.9.1972 – Stadtblatt Crailsheim I3, ausdrücklich in Rn. 41 zitiert). Aber auch gegenüber einer kostenpflichtigen Tageszeitung „besteht der für die Annahme eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses erforderliche wettbewerbliche Bezug zu dem von der Beklagten herausgegebenen kostenlosen „Stadtblatt“, weil dieses ebenso wie die Tageszeitung der Klägerin über einen Anzeigenteil verfügt und beide Parteien um Anzeigenkunden werben ( Rn. 59).
7. Kostenlose Verteilung (Rn. 41): „Erfolgt die Verteilung kostenlos, erhöht sich die Gefahr einer Substitution privater Presse; auch das ist zu berücksichtigen“; die „Gratisverteilung“ eines Amtsblatts schützt nicht vor der Anwendung des Wettbewerbsrechts – UWG (Rn. 52).
1 – v. 3.5.2017, Az. 4 U 160/16
2 – BVerwG NVwZ 2018, 433
3 – BGH , Urt. v. 22.9.1972 – Stadtblatt Crailsheim I – BWGZ 1988, 181 = EKBW DVO GemO § 1 E 11/1 = GRUR 1973, 530
3. Die Amtsblätter im Visier.
Anmerkungen zu den Beurteilungskriterien des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 20.12.2018 „Crailsheimer Stadtblatt II“
von Prof. Dr. Christian O. Steger[1]
Die deutschen Zeitungsverleger kämpfen seit Jahrzehnten gegen das Schwinden der Auflagen bei ihren Tageszeitungen. Neuigkeiten sind 30 Jahre nach Erfindung des World-Wide-Web über das Internet, durch E-Mail Portale und Soziale Medien in Erfahrung zu bringen und auszutauschen. Dort liegt auch der Ursprung der Kontroversen: es geht, wie früher, nur in anderen Dimensionen, um den Verlust an Werbeerlösen[i], jetzt aber in erster Linie an Internet – Provider, daneben an öffentlich – rechtliche Rundfunkanstalten.
Kein Wunder, dass die Zeitungsverlage seit längerem auch gemeindliche Amtsblätter im Visier haben. Natürlich nur die, die nicht von ihnen selbst auf der Basis von Verträgen mit den Gemeinden verlegt werden[ii]. Da ist dann von „steuerfinanzierter Konkurrenz“ die Rede, wie etwa beim Zeitungskongress 2017 in Stuttgart, auf dem Matthias Döpfner, der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV)( und Chef des Axel Springer Verlages einen „staatlichen Eingriff in den freien Lokal-und Regionaljournalismus“ beklagte[iii]. Diese Klage erstreckte Döpfner sogleich auch auf Online-Angebote der Kommunen. Die derzeit laufende gerichtliche Auseinandersetzung zwischen dem Verlag der „Ruhr-Nachrichten“ und der Stadt Dortmund[iv] wegen der Informationen auf dem städtischen Internet – Portal hat offenkundig diesen Hintergrund. Angeblich soll auch Ministerpräsident Kretschmann auf den ihm bei der Veranstaltung hingestellten Karren aufgestiegen sein. Er wird in der Presse zitiert, er wolle „auf Städte und Gemeinden einwirken, damit diese es unterlassen, mit steuerfinanzierten Amtsblättern den Lokalzeitungen Konkurrenz zu machen“[v].
Über die Konzentrationsprozesse im Verlagsbereich der Tageszeitungen, auch bei den Redaktionen mit dem daraus folgenden Schrumpfen der Meinungsvielfalt, über die fehlende Berichterstattung zu lokal bedeutsamen Themen aus Platzmangel in den Zeitungen und wegen Personalmangels in den Lokalredaktionen wurde naturgemäß nicht gesprochen[vi]. Deren Wirkung auf das öffentliche Leben vor allem in den kleineren Kommunen sowie die Frage der zahlreichen „Einzeitungskreise“, was Tagespresse angeht, wurde nicht erörtert.
Wer nun ist diese „fürchterliche“ Konkurrenz? Viele Amtsblätter mit rein örtlichem Inhalt werden in Baden-Württemberg im so genannten Verlagsmodell von den Kommunen, bisher von einer langjährigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unbeanstandet, herausgegeben[vii]. Die Kosten für Herstellung und Vertrieb erwirtschaften im Regelfall die privaten – mittelständischen – Verleger der Amtsblätter durch Bezugsgebühren und/oder die Aufnahme von Anzeigen. Unter den landesweit rund 200 (geschätzt) Amtsblättern, die von Tageszeitungsverlagen bzw. deren Tochterunternehmen hergestellt werden, fällt ein großer Anteil inhaltlich und im Erscheinungsbild unter die (ungerechtfertigte) Kritik des BDZV. Paradox?
Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20.12.2018 (BGH) ist jetzt eine Serie von Gerichtsverfahren, angestrengt vom Verlag Südwestpresse Hohenlohe, Verleger des „Hohenloher Tagblatt“, gegen die Stadt Crailsheim wegen ihres „Stadtblatts“ zumindest in einer Hauptsache zum Ende gebracht worden. Der für Wettbewerbsfragen zuständige Senat des Bundesgerichtshofs hat mit seinem aktuellen Urteil[viii]– „Crailsheimer Stadtblatt II“ den Knoten vorläufig durchgehauen, um erneut Frieden zwischen den beiden Kontrahenten zu stiften, die sich bereits 1972 vor dem BGH gesehen hatten[ix].
Ausgangslage
Eine Gemeinde ist nicht verpflichtet, ein „eigenes“ Amtsblatt herauszugeben. Davon ist nach wie vor auszugehen[x] . Der Gesetzgeber verlangt zwar weiterhin, dass die Gemeinde z.B. die Unterrichtungspflichten des § 20 Gemeindeordnung (GemO) erfüllt. Wie die Gemeinde das macht, ist aber Ihre Sache. Der Gemeinderat entscheidet, ob ein Amtsblatt herausgegeben werden soll. Ein in der Gemeinde erscheinendes Mitteilungsblatt ist nur dann ein eigenes Amtsblatt[xi], wenn es von der Gemeinde herausgegeben wird und sie für den Inhalt verantwortlich zeichnet[xii]. Es ist insoweit ohne besondere Bedeutung, ob das Blatt von der Gemeinde in eigener Regie gedruckt und verlegt wird; entscheidend ist, dass die Gemeinde in alleiniger Verantwortung darüber entscheiden kann, wann und mit welchem Inhalt ihre amtlichen Mitteilungen zu erscheinen haben.
Wenn die Kommune als eine der Möglichkeiten für amtliche Bekanntmachungen ein „eigenes“ Amtsblatt herausgibt, das sie zur regelmäßigen Unterrichtung der Einwohner über die allgemein bedeutsamen Angelegenheiten der Gemeinde nutzt, ist den Fraktionen des Gemeinderats neuerdings Gelegenheit zu geben, ihre jeweiligen Auffassungen zu Angelegenheiten der Gemeinde im Amtsblatt darzulegen[xiii]. Gibt die Gemeinde kein Amtsblatt heraus, entfällt diese Form der Unterrichtung und die Möglichkeit für Stellungnahmen der Fraktionen.
Gleichzeitig ist die Gemeinde seit Ende 2015 unter Vorbehalt verpflichtet[xiv], Informationen im Internet zu veröffentlichen. Allerdings findet das keine Anwendung in Gemeinden, in denen bislang kein elektronisches System zur Bereitstellung der Sitzungsunterlagen für die Gemeinderäte existiert. Das betrifft indessen nicht die öffentlichen Bekanntmachungen und Verkündungen von ortsrechtlichen Bestimmungen, z.B. Satzungen nach der GemO oder Bebauungspläne, die ebenfalls als Satzung beschlossen werden müssen. Für sie ist die Verordnung zur Durchführung der GemO maßgeblich, die seit 2015 vorsieht, dass öffentliche Bekanntmachungen neben den bisherigen Bekanntmachungsformen auch durch Bereitstellung im Internet erfolgen können[xv].
Amtsblatt im Wettbewerb
Die traditionelle „Erweiterung” gemeindlicher Amtsblätter vor allem um Anzeigen und auch um „redaktionelle“ Inhalte ist seit vielen Jahren immer wieder, sozusagen periodisch, umstritten[xvi]. Nach Auffassung des BGH stehen die Parteien des Rechtsstreits (Tageszeitung versus Amtsblatt) mit ihren Blättern in der konkreten Ausgestaltung in einem wirtschaftlichen Wettbewerbsverhältnis[xvii]. Deswegen finden die Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) auch auf Amtsblätter im nicht hoheitlichen Bereich Anwendung. Die einschlägige Vorschrift des § 3a UWG lautet:
„Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen“.
Der BGH hat in seinem Urteil „Crailsheimer Stadtblatt I“ im Jahr 1972, in dem es um das Verbot der Anzeigeneinwerbung zur Mitfinanzierung für Amtsblätter ging, sozusagen Abstand von der Anwendung des Wettbewerbsrechts gehalten. Die Richter wiesen seinerzeit darauf hin, dass einerseits eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 UWG auch unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines freien und unabhängigen Pressewesens stehen müsse. Andererseits führte der Bundesgerichtshof aus,
„dass mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts zum Schutz des Bestands einer freien Presse erst dann eingegriffen werden kann, wenn konkrete Tatsachen dafür vorgetragen und erwiesen sind, dass im Einzelfall ein derartiges Anzeigenblatt eine Tageszeitung derartig beeinträchtigt, dass sie ihre Funktion im Rahmen des Art. 5 GG nicht mehr erfüllen kann“[xviii].
An diesen zutreffenden grundsätzlichen Ausführungen lässt sich die jetzt durch das BGH Urteil vom 20.12.2018 erfolgte Richtungsänderung ablesen.
Wie ist der Status der Amtsblätter?
Das Amtsblatt einer Gemeinde wird als Verwaltungseinrichtung zur Organisation der notwendigen Publikationen und der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit der Verwaltung der Gemeinde geschaffen und nicht als die örtliche Tages- oder Wochenpresse ersetzendes Organ. Die Gemeinde will damit in erster Linie ihren gesetzlich geregelten Bekanntmachungspflichten nachkommen[xix]. Mithin verschafft dieser Widmungszweck des Amtsblatts den Einwohnern kein eigenes Benutzungsrecht nach § 10 Abs. 2 S. 2 GemO[xx]. Das Amtsblatt ist neben der Funktion als Verkündungsblatt „ein Informationsinstrument der Gemeinde für die Einwohner“[xxi]. Der „ursprüngliche und eigentliche Zweck“ des Amtsblatts ist es, „Bindeglied zwischen dem Rathaus und dem einzelnen Bürger zu sein“[xxii].
An diesem Charakter ändert sich nichts, wenn die Gemeinde es ortsansässigen Institutionen ermöglicht, im nichtamtlichen = redaktionellen Teil des Amtsblattes Mitteilungen zu veröffentlichen[xxiii]. Die Herausgabe des Amtsblatts ist vom Verwaltungsgerichtshof BW der „(schlicht-) hoheitlichen Betätigung der Gemeinde“ zugeordnet worden[xxiv]. Es liegt im Ermessen der Gemeinde, welche Inhalte sie im Amtsblatt zulässt. Es besteht also kein Anspruch Dritter auf Aufnahme von Mitteilungen oder Anzeigen. Wenn eine Gemeinde im zulässigen Rahmen (siehe dazu unten) Berichte und Anzeigen von Vereinen und (zugelassenen) Parteien aufnimmt, muss sie dabei den Gleichheitssatz beachten. Aus sachlichen Gründen kann sie eine bisher entgegenkommende Aufnahmepraxis beschränken[xxv]. Soweit die Gemeinden Amtsblätter selbst verlegen und dabei Anzeigenwerbung betreiben, handelt es sich in der Regel um ein wirtschaftliches Unternehmen, § 102 GemO[xxvi]. Das Anzeigengeschäft ist grundsätzlich zulässig[xxvii]. Werbeanzeigen im Amtsblatt und Einnahmen daraus stellen auch nach dem BGH – Urteil vom 20.12.2018 eine „fiskalische und nachrangige Randnutzung“, damit keinen Wettbewerbsverstoß dar. Fehlt das kommerzielle Element gänzlich bei einem kostenlosen und anzeigenfreien Amtsblatt, dann läge keine geschäftliche Handlung im Sinne des UWG vor[xxviii].
Neue Entwicklungen
Neuerdings ist unter einer „griffigen Kurzformel“[xxix] vom Bundesgerichtshof festgestellt worden, dass das aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 und 2 GG im Interesse der Sicherung der Meinungsvielfalt vom Bundesverfassungsgericht abgeleitete „Gebot der Staatsferne der Presse“ eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG darstelle[xxx]. Dieses Gebot der Staatsferne der Presse erlegt dem Staat im Interesse der Meinungsvielfalt enge Grenzen für seine Tätigkeit auf dem Gebiet der Presse auf. Ein Amtsblatt verlässt nach Auffassung des BGH[xxxi] mit der sog. Erweiterung des redaktionellen Teils um Informationen über private Institutionen der Gesellschaft wie z.B. Vereine, aber auch über Kirchen den öffentlich-rechtlichen Bereich, der von der Verwaltungsrechtsprechung der (schlicht-)hoheitlichen Betätigung der Gemeinde zugeordnet worden ist[xxxii] .
Der BGH ist in seinem Urteil vom 20.12.2018 richtigerweise der unzutreffenden Ansicht des OLG Stuttgart in seiner vorausgehenden Entscheidung nicht gefolgt, dass die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden aus Art. 28 Abs. 2 GG sowie aus Art. 71 Abs. 1 Landesverfassung BW (LV) „keine Kompetenzen für ein redaktionell gestaltetes Amtsblatt“ vermittle[xxxiii]. Im Blick auf die seit Jahrzehnten unter dem Gesichtspunkt der „Demokratisierung des Staatswesens“ ausgeweiteten gesetzlichen Pflichten der Gemeinde zur Unterrichtung der Bürgerschaft bewertet der BGH vielmehr § 20 GemO als positivrechtliche Konkretisierung der gemeindlichen Kompetenzen aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG dahin, dass eine kommunale Öffentlichkeitsarbeit stattfinden könne. Die Vorschrift enthalte aber auch insoweit eine ausdrückliche Beschränkung auf das „staatliche“ Handeln der Gemeinde. Eine Berichterstattung über und durch örtliche Institutionen der Zivilgesellschaft, wie Vereine, Kirchen und über sonstige gesellschaftliche Ereignisse, z.B. im Kulturbereich wird nicht zugelassen[xxxiv].
Der auf das Bestehen von „Kompetenzen“ einerseits und „staatlichem Handeln“ andererseits fixierten engen Betrachtungsweise des BGH[xxxv] ist in ihrer strikten Bestimmtheit und gleichzeitig begrifflichen Unschärfe (was ist z.B. „pressemäßige“ Berichterstattung?) nicht zuzustimmen. Sie folgt der grundlegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht, wonach aus dem Wesensgehalt der kommunalen Selbstverwaltung eine Befugnis der Gemeinden fließe, „sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen“[xxxvi]. Der BGH meint hingegen, die Vorschrift des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG habe „eine ausschließlich staatsgerichtete Funktion“ und entfalte „keine Wirkung im Staat-Bürger-Verhältnis“[xxxvii]. Der BGH hat dabei die politisch-demokratische Funktion der kommunalen Selbstverwaltung im Gesamtstaat nicht ausreichend im Blick. Diese
„bedeutet ihrem Wesen und ihrer Intention nach Aktivierung der Beteiligten für ihre eigenen Angelegenheiten … mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren“[xxxviii].
Die gemeindliche Aufgabe der Förderung des „gemeinsamen Wohls ihrer Einwohner“ (§ 1 Abs. 2 GemO) ist demgemäß mehr als die Tätigkeit einer obrigkeitlich konstruierten öffentlichen Verwaltung und die Funktion der Gemeinde mehr als die einer bloßen Untergliederung des Staates. Vielmehr soll das gemeinsame Wohl in „bürgerschaftlicher Selbstverwaltung“ (§ 1 Abs. 2 GemO) gefördert werden. Dies ist als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen, die der BGH aus der Berichterstattung im Amtsblatt ausgrenzt[xxxix]. Die große Bedeutung der ehrenamtlichen gesellschaftlichen Kräfte, vor allem z.B. der Vereine, bürgerschaftlicher Initiativen, der Kirchen, für die Funktion der örtlichen Selbstverwaltung steht deswegen seit jeher im Blickpunkt der Kommunalpolitik (z.B. Förderung) und prägt auch die – nicht nur obrigkeitlich wohlwollende – Funktion der Gemeinde bei der Pflege der gemeinsamen Lebensgrundlagen im Gemeindegebiet. Das entspricht auch der Auffassung des Verfassungsgebers in Baden-Württemberg.
Ziele der Landesverfassung
Die Landesverfassung BW enthält gerade mit Blick auf die gesellschaftlichen Kräfte Staatszielbestimmungen, die den Gemeinden weitreichende „Förder“- Aufträge erteilen[xl].
Sie sind damit verfassungsrechtlich als Aufgaben der Kommunen definiert. Diese Staatsziele regeln nicht, wie und auf welchem Weg sie konkret erreicht werden sollen. Deswegen haben die Kommunen insoweit eine Einschätzungsprärogative, wie sie diese Aufgaben mit einem „breiten Gestaltungsspielraum“[xli] im Rahmen ihrer Eigenverantwortlichkeit erfüllen wollen. Der am 10.6.2000 in Kraft getretene und 2015 ergänzte Art. 3c Abs. 1 LV BW,
„Der Staat, die Gemeinden und die Gemeindeverbände fördern den ehrenamtlichen Einsatz für das Gemeinwohl, das kulturelle Leben und den Sport unter Wahrung der Autonomie der Träger“,
ist im vorliegenden Zusammenhang besonders hervorzuheben[xlii]. Die Bestimmung enthält seit 2015 insbesondere auch als Staatsziel für Land und Gemeinden die Aufgabe der Förderung des ehrenamtlichen Einsatzes für das Gemeinwohl. Die Bedeutungsnähe des Verfassungswortlauts zu § 1 Abs. 2 GemO liegt auf der Hand. Dieser Einsatz trägt nach der Gesetzesbegründung zu einer menschlichen und solidarischen Gesellschaft bei und festigt das demokratische Gemeinwesen[xliii]. Die Bestimmung ist
„Handlungsauftrag, den Politikbereich bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt noch intensiver als bisher zu fördern“ [xliv].
Dabei geht es auch um einen weiteren Ausbau der Anerkennungskultur für ehrenamtlich tätige Bürgerinnen und Bürger[xlv]. Der Verfassungsgeber hat damit klargestellt, dass Staat, Gemeinden und Gemeindeverbände diesem Ziel ein besonderes Gewicht beizumessen haben. Die Konstitutionalisierung der Förderung des Ehrenamts hängt eng mit der Förderung des Sports und des kulturellen Lebens in einer Gemeinde zusammen. Die öffentliche Pflege von Kultur und die Sportförderung werden überdies seit jeher in erster Linie durch die kommunale Ebene geprägt[xlvi]. Die in der Vorschrift enthaltene „Förderpflicht“[xlvii] für die in Art. 3c Abs. 1 LV bewusst erfolgte Zusammenfassung der Bereiche ehrenamtlicher Tätigkeit für das Gemeinwohl, der Kulturpflege und der Sportförderung macht deutlich, dass der Verfassungsgeber eine weitere Verbesserung der Fördermöglichkeiten erreichen will. Umgekehrt ist damit der Bestimmung auch ein „Verschlechterungsverbot“ zu entnehmen[xlviii]. Dies gilt für die Gesamtsituation der genannten Förderaufgaben, einschließlich der öffentlichen „Anerkennung“ durch Gewährung von Publizität für die Vereine und ihre Akteure und der notwendigen Bekanntheit ihres Tuns in der örtlichen Öffentlichkeit.
Damit sind aber öffentliche Aufgaben der „Ortsstufe der öffentlichen Verwaltung“ zur eigenverantwortlichen Erfüllung[xlix] definiert, zumindest aber konkretisierend zu Art. 71 LV und Art. 28 Abs. 2 GG klargestellt. Die neuere Rechtsprechung des BGH zum Wettbewerbsrecht sieht das Bestehen einer gemeindlichen Aufgabe als allgemeine Voraussetzung für die grundsätzliche Zulässigkeit einer Berichterstattung in Amtsblättern[l] . Diese Regelungen der LV enthalten damit, neben der vom BGH zu Recht angesprochenen konkretisierenden Wirkung des § 20 GemO, durch Verfassungsrecht des Landes geschaffene und benannte Aufgaben (im Sinne des BGH: Kompetenzen) der Gemeinden, die auch zur Zweckmäßigkeit gemeindlicher und privater Berichterstattung zugunsten des Einsatzes für das Gemeinwohl in einem gemeindlichen Medium führen können. Dazu gehört ohne Zweifel auch die bedarfsgerechte und traditionelle Öffnung vorhandener Publikationsmöglichkeiten der Gemeinde nach deren Ermessen als Hilfestellung = Förderung des ehrenamtlichen Einsatzes solcher örtlicher privater Initiativen für das Gemeinwohl. In der langjährigen und ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg wird daher mit Recht die Zulässigkeit eines um redaktionelle Textbeiträge (z.B. Vereinsberichte, kirchliche Termine) „erweiterten“ und mit Anzeigenwerbung mitfinanzierten Amtsblatts nicht infrage gestellt. Die Gemeinde könne auch in wettbewerbsrechtlich relevanten Situationen „grundsätzlich selbst bestimmen, ob und was sie im redaktionellen Teil des Amtsblatts veröffentlicht“[li]. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei dabei einzuhalten. Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof mit seinem Urteil v. 20.12.2018 eine “pressemässige Berichterstattung über das gesellschaftliche Leben in der Gemeinde“ als unzulässig bezeichnet[lii] und bei der konkreten Beurteilung kommunaler Veröffentlichungen wegen ihrer Erkennbarkeit als „staatliche Publikationen“ eine Prüfung der Art des Beitrags, des Inhalts des Beitrags (z.B. Neutralität) sowie eine „Gesamtbetrachtung“ der Publikation unter Einbeziehung des äußeren Erscheinungsbilds für notwendig gehalten[liii]. Staatliche Publikationen müssten eindeutig – auch hinsichtlich Illustration und Layout – als solche erkennbar sein und sich auf „Sachinformationen“ beschränken. Greifbare Definitionen der Begriffe „pressemässig“ oder „Sachinformationen“ fehlen indessen.
Bewertung
Es handelte sich bei dem „Stadtblatt“ der Stadt Crailsheim in Gestalt der durch die Klage angegriffenen Ausgaben, die dem Urteil des BGH vom 20.12.2018 zugrundeliegt, um einen Sonderfall, der nicht die übliche Konzeption von kommunalen Amtsblättern widerspiegelt[liv].
- Das Urteil des BGH wirft für die Praxis Fragen zur Reichweite des Verbots[lv] auf, statt sie zu beantworten: soll etwa jetzt der Rotstift der örtlichen Tageszeitungsredaktion auf „dünner“ Rechtsgrundlage die wöchentliche Zensur des Inhalts der einzelnen Amtsblätter übernehmen? Oder die Rechtsaufsichtsbehörde? Schließlich ist von einem „Funktionsversagen des Verwaltungsrechts“ die Rede[lvi], das wohl die Zivilgerichte über das Wettbewerbsrecht korrigieren wollen?
- Die trotz der verfassungsrechtlich verankerten breiten Allzuständigkeit der Gemeinden und Städte enge Auffassung des für das Wettbewerbsrecht zuständigen Senats des Bundesgerichtshofs von den Kompetenzen der Kommunen, die für ihr Amtsblatt und dessen Inhalte sozusagen einer konkretisierenden (gesetzlichen) Ermächtigung bedürfen sollen, erscheint nicht zutreffend.
- Insbesondere in der Landesverfassung (LV) von Baden-Württemberg finden sich konkrete gemeindliche Pflichten und damit öffentliche Aufgaben begründende Staatszielbestimmungen, die Art. 28 Abs. 2 GG und 71 Abs. 1 LV zumindest konkretisieren. Diese in der Landesverfassung festgelegten Gemeindeaufgaben, insbesondere der Bereich der Förderung des ehrenamtlichen Einsatzes für das Gemeinwohl, der Kultur und des Sports, haben Bedeutung für die rechtliche Betrachtung der Zulässigkeit der sog. Erweiterung von Amtsblättern. Damit hat sich der BGH bedauerlicherweise überhaupt nicht befasst.
- Das Urteil ist in sich nicht frei von Widersprüchlichkeiten und ungelösten Konflikten in den Aussagen:
- Im „Bereich auf jeden Fall zulässigen Informationshandelns“ der Gemeinden[lvii] führt das Gericht aus, dass die Gemeinden sogar in „presseähnlicher Form“ (!) informieren dürfen; es könne sogar „geboten“ sein, so zu informieren, wenn Information „nur über die Gemeinde gewonnen werden kann“. Andererseits darf „eine vom Staat unabhängige Meinungsbildung der Öffentlichkeit“ nicht gefährdet werden. Die Grenzen sind kaum ermittelbar.
- „Einzelne, die Grenzen zulässiger staatlicher Öffentlichkeitsarbeit überschreitende Artikel allein begründen … keine Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse“. Andererseits liegt nach Meinung des BGH ein Verstoß gegen die Marktverhaltensregelung „bereits dann vor, wenn einzelne Artikel den Bereich der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit eindeutig verlassen und die Publikation insgesamt bei einer Gesamtwürdigung einen pressesubstituierenden Gesamtcharakter aufweist“[lviii].
- Bei der vorzunehmenden wertenden Betrachtung der gemeindlichen Publikation insgesamt verbietet sich nach den Ausführungen des BGH „jede schematische Betrachtungsweise“[lix]. Die vom BGH selbst vorgesehene durchaus schematische Prüfung der optischen Gestaltung der Publikationen bezüglich des Layout der Beiträge mit „pressemäßigen“ Merkmalen etc. ist durchaus fragwürdig.
Der BGH hat sozusagen allein auf die Mittel des Wettbewerbsrechts gesetzt und die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für diesen Fall des „Marktzutritts“ der Kommunen entgegen anderslautenden Stimmen in Literatur und Rechtsprechung in einer Klammeranmerkung zur Zweckbestimmung des Gebots der Staatsferne der Presse[lx] verneint. Auch das darf bezweifelt werden. Die Verwaltungsgerichte haben in Baden-Württemberg in jahrzehntelanger Rechtsprechung die „Mischung“ des jetzt streitigen Inhalts von Amtsblättern aus guten Gründen nicht beanstandet. Auf die Inhalte dieser Rechtsprechung ist der Bundesgerichtshof nicht eingegangen.
Das Urteil hat wahrlich eine intensive
Diskussion in der Rechtsliteratur und auch in der Gesetzgebung verdient, denn
das „Gebot der Staatsferne“ gegenüber der Presse ist in der Ausprägung dieser
Rechtsprechung wohl eher eine richterliche Rechtsfortbildung als die Anwendung
einer „gesetzlichen Vorschrift“ im Sinne des § 3a UWG[lxi].
[1]
Der Verfasser ist Hauptgeschäftsführer a.D. des Gemeindetags Baden –
Württemberg und Rechtsanwalt in der Kanzlei iuscomm Rechtsanwälte, Stuttgart
[i] Peifer WRP 2019, 325, 326
[ii] Siehe dazu Köhler GRUR 2019, 265, 267, insbesondere FN 18
[iii] Stuttgarter Zeitung, 18.1.2017, https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.bdzv-kongress-matthias-doepfner-amtsblaetter-machen-regionalzeitungen-konkurrenz.8de791c1-dd71-45b8-8371-e9b1ae02b505.html, Zugriff am 24.1.2019
[iv] LG Dortmund, Beschluss vom 26.6.2018 – 3 O 262/17 –
[v] Rhein – Neckar – Zeitung, Internetausgabe vom 19.9.2017; siehe auch Stuttgarter Zeitung, oben FN 3; vgl. schon früher Lehari BWGZ 2005, 506
[vi] Vgl. Peifer WRP 2019, 325, 326
[vii] Bock BWGZ 2005, 491, 496; BWGZ 2005, 497, 499; Muster eines Verlagsvertrags siehe BWGZ 2005, 500
[viii] vom 20.12.2018 – I ZR 112/17- GRUR 2019, 189 = NJW 2019, 763; siehe zum Beginn der „Kampagne“ etwa das Verfügungs – Urteil OLG Stuttgart v. 27.1.2016 – AfP 2016, 171
[ix] BGH, Urteil vom 22.9.1972 – Stadtblatt Crailsheim I – BWGZ 1988, 181 = EKBW DVO GemO § 1 E 11/1 = GRUR 1973, 530
[x] amtliche Begründung zur Ergänzung des § 20 durch den neuen Absatz 3 (GBl. 2015, S. 870 – LTDS 15/7265, S. 34)
[xi] Gesamtübersicht bei Bock BWGZ 2005, 491, 497; Papier/Schröder DVBl. 2017, 1; Herrmann/Schiffer, VBlBW 2004,163
[xii] Kunze/Bronner/Katz, Kommentar GemO BW, § 4 Rn. 23; VGH BW VBlBW 1982,18; VGH BW Urt. vom 26.10.1989 – 2 S 404/89-, EKBW DVO GemO § 1, E 24/1; Bock, BWGZ 2005, 491
[xiii] § 20 Abs. 3 GemO
[xiv] § 41b GemO
[xv] § 1 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 DVO GemO
[xvi] vgl. BGH Urt. v. 22. 9. 1972 – I ZR 73/71 – Stadtblatt Crailsheim I – GRUR 1973, 530 = BWGZ 1988, 181 = EKBW DVO GemO § 1 E 11/1; Einzelheiten bei Wimmer NJW 1982, 2793 mwN; Köhler GRUR 2019, 265, 266 bei FN 18; vgl. Lehari BWGZ 2005, 506
[xvii] Rn. 15, 59 des BGH Urteils vom 20.12.2018 = GRUR 2019, 189 = NJW 2019, 763; differenzierend Köhler GRUR 2019, 265, 266 bei FN 8; Kunze/Bronner/Katz, Erl. § 102 Rn. 35f., 45, 59; Papier/Schröder DVBl. 2017, 1, 3, 6; OLG Stuttgart Urt. v. 3.5.2017 – 4 U 160/16, Umdruck Seite 29f
[xviii] Siehe FN 9, GRUR 1973, 530, 531
[xix] VGH BW Urt. v. 23.4.1979 – I 4163/78 – EKBW DVO GemO § 1 E 16 = BWGZ 1980, 214; VGH BW Beschl. v. 12.12.1972 – I 1067/71 – EKBW DVO GemO § 1 E 12/1
[xx] VGH BW, 12.12.1972 aaO.; VGH BW, 23.4.1979 aaO.; Bock BWGZ 2005, 491, 492; Herrmann/Schiffer VBlBW 2004, 163, 165; Aker in: Aker/Hafner/Notheis, Komm. GemO/GemHVO BW, 2013, § 10 Rn. 5; Ade in: Kommentar GemO, PdK, B 2 BW § 4 Nr. 5.1; siehe auch VGHBW Beschl. v. 26.8.2010 -1 S 954/09 – EKBW DVO GemO § 1 E 40
[xxi] Papier/Schröder DVBl. 2017, 1, 2
[xxii] Siehe FN 19 oben
[xxiii] VGH BW, 23.4.1979 aaO., BWGZ 1980, 214, 215
[xxiv] VGH BW, 12.12.1972 aaO, oben FN 19
[xxv] VGH BW, 12.12.1972 aaO, oben FN 19
[xxvi] Kunze/Bronner/Katz , § 102 Rn. 45, 10f., 60
[xxvii] BGH Urt. v. 22.9.1972, BWGZ 1988, 181 = EKBW DVO GemO § 1 E 11/1 = GRUR 1973, 530; VGH BW Urt. v. 23.4. 1979 – I 4163/78 – EKBW DVO GemO § 1 E 16 = BWGZ 1980, 214, 215; Bock BWGZ 2005, 497, 498f.; Herrmann/Schiffer VBl BW 2004, 163, 165
[xxviii] BGH Urt.v. 20.12.2018 – I ZR 112/17 – – Crailsheimer Stadtblatt II, Rn. 41 – juris = GRUR 2019, 189; ebenso OLG Stuttgart Urt. v. 3.5.2017 – 4 U 160/16, Umdruck S. 52, S. 57; Köhler GRUR 2019, 265, 266 bei FN 9
[xxix] Ausdruck bei Papier/Schröder aaO., 4, 8
[xxx] BVerfGE 20, 162, 175; BGH Urt. v. 20.12.2018 – I ZR 112/17 – Crailsheimer Stadtblatt II, Rn. 19 – juris = GRUR 2019, 189; BGH Urt. v. 15.12.2011 – I ZR 129/10 – MDR 2012, 13; 2012, 509, “Einkauf Aktuell“
[xxxi] Urteil vom 20.12.2018, Rn. 56 – juris
[xxxii] VGH BW, 12.12.1972 aaO, oben FN 19
[xxxiii] OLG Stuttgart Urt. v. 3. 5. 2017 – 4 U 160/16 – Umdruck Seite 32
[xxxiv] BGH 20.12.2018 – Rn. 26, 27, 38 – juris; OLG Stuttgart, aaO., Umdruck Seite 41; a.A. Papier/Schröder DVBl. 2017, 1, 9
[xxxv] Urteil 20.11.2018, Rn. 27, 38, 40, 56 – juris
[xxxvi] BVerfGE 79, 127,146 = BWGZ 1989, 262, 265; Hervorh. eingefügt
[xxxvii] BGH 20.12.2018, aaO., Rn. 25 – juris
[xxxviii] BVerfGE 11, 266, 275; Kunze/Bronner/Katz, Komm. GemO BW, Erl. § 1 Rn. 1, 77f.
[xxxix] BGH 20. 12.2018, aaO., Rn. 37
[xl] Strohs in: Haug – Hrsg. – Komm. LV BW, 1. Aufl. 2018, Art. 3 c LV, Rn. 1
[xli] Siehe Begründung des Änderungsantrags LTDS 12/5193, S. 2
[xlii] vgl. aber auch Art. 3c Abs. 2, ferner LV Art. 11 Abs. 3; Art. 12 Abs. 2; Art. 13, Art. 22
[xliii] LTDS 15/7412, S. 6
[xliv] LTDS 15/7412, S. 6
[xlv] Strohs aaO. Rn. 10
[xlvi] Strohs aaO., Rn. 4
[xlvii] Strohs, aaO., Rn. 12
[xlviii] Strohs, aaO., Rn. 12 mwN.
[xlix] Kunze/Bronner/Katz, Erl. § 2, Rn. 11, 25
[l] BGH 20. 12.2018, aaO., Rn. 28 – juris
[li] VGH BW Beschl. v. 26.8.2010 -1 S 954 – EKBW DVO GemO § 1 E 40
[lii] BGH 20. 12.2018, aaO., Rn. 38 – juris
[liii] BGH 20. 12.2018, aaO., Rn. 35, 38 – juris
[liv] Ähnlich Köhler GRUR 2019, 265, 267, Abschnitt IV
[lv] Peifer WRP 2019, 325, 327
[lvi] Peifer WRP 2019, 325, 326
[lvii] BGH 20.12.2018, aaO., Rn. 37
[lviii] BGH 20.12.2018, aaO., Rn. 40 und Rn. 45
[lix] BGH 20.12.2018, aaO., Rn. 40 und Rn. 41/47
[lx] BGH 20.12.2018, aaO., Rn. 19; siehe auch die Zweifel an der Abgrenzung bei Köhler GRUR 2019, 265, 266. bei FN 15; Peifer WRP 2019, 325, 326
[lxi] Zutreffende Kritik bei http://schmid-stillner.de/presserecht-das-amtsblatt-im-fadenkreuz-der-zeitungsverlage/ Zugriff 25.1.2019;